Wie eingangs erwähnt, scheiden sich beim Stierkampf die Geister. Leider hat man aus Spanien die feria importiert, die grausame Marter der schönen kleinen Stiere, und die findet nicht wenige Anhänger, vor allem Touristen aus dem Ausland werden von ihren Reiseveranstaltern gerne dahingebracht.
Die einheimische, uralte und viel beliebtere und häufigere Variante des Spieles mit dem Stier aber ist die course camargaise. Dahinter steckt ein ganz anderer Geist! Wir haben uns schon mehrere Courses angesehen, einmal auch 2003 mit unseren Eltern in Tarascon anläßlich des Taraskenfestes, eine Course der Trophée des As. Diese Course ist mit erstklassigen Stieren und ausgezeichneten Razeteurs beschickt, und unsere Eltern sind immer noch fasziniert und begeistert. Tarascon hat auch unsere Lieblingsarena und die Fotos habe ich in einer Course der Trophée des As 2006 in Tarascon gemacht.
Was ist eine course camargaise (es gibt noch andere Courses, z.B. die landaise mit ganz anderen Regeln)? Nun, da erhält ein Stier bunte Abzeichen (cocardes) zwischen die Hörner gesteckt und um die Hörner werden Bänder (ficelles) gewickelt. Dafür gibt es genaue Regeln. Zwei Teams von je drei bis sechs Stierkämpfern (razeteurs) haben die Aufgabe, vorne am Stier vorbeizulaufen und ihm die Abzeichen und Bänder abzunehmen (dafür gibt es Prämien). Der Stier hat eigentlich immer was dagegen ... Da heißt es schnell rennen und über die Bande springen. Manchmal springt der Stier nach und dann dreht sich das Spiel um: der Stier ist hinter der Bande und die razeteurs sind in der Arena. Ein tüchtiger Stier, der sich nicht alles abnehmen läßt, klug agiert und edlen Kampfgeist zeigt, wird hier mindestens so gefeiert wie der Matador in Spanien. In Beaucaire, zum Beispiel, stehen am Hauptplatz die Denkmäler der berühmten Stiere Sanglier und Clairon. Razeteurs tragen zwar das große Risiko (Unfälle gehören zum Geschäft und gehen gelegentlich tödlich aus), werden aber bei weitem nicht so berühmt ...
Die erfolgreichsten Stiere erzielen Höchstpreise, gehen im besten Mannesalter in Pension und dürfen sich dann ganz der Hervorbringung ebenso tüchtiger Nachkommen widmen (wie das wohl mit den razeteurs ist?). Gezüchtet werden die schwarzen Rinder in den Salzsteppen der Camargue, wo sie fast das ganze Jahr ein recht freies Leben führen. Sie kommen mit dem Menschen nur in Berührung, wenn sie die Weide wechseln sollen, und zur Musterung und zum Einbrennen der Brandzeichen der einzelnen manades (ursprünglich nur der Begriff für die Herde, heute aber für den ganzen Zuchtbetrieb). Es ist eine kleine, sehr kompakte Rasse. Die Kälber kommen braun zur Welt und werden erst als erwachsene Tiere schwarz, manchmal auch gar nicht. Je mehr Stiere von Format eine Manade hervorbringt, umso bekannter und bedeutender ist sie. So dient der Stier auch als Werbeträger für den Züchter.
Die Guardians, die Viehzüchter und überhaupt die provençalischen Bauern sind stolze, starkrückige und ausgesprochen gastfreundliche Menschen. Sie sind Könige in ihrem Reich und ihre Haltung ist von ruhiger Würde. Sie wurzeln fest im Boden ihrer Heimat und ihr Selbstbewußtsein wird von Generationen von Ihresgleichen gestärkt. Welche Ähnlichkeit mit ihren Stieren!